Ist es Kleidung?

Wie aus Kassettenbändern Kleidung wird

Meine Arbeit mit Kassettenbändern geht in eine nächste Runde (siehe Blogbeitrag Dranbleiben). Die letzte Ausstellung bringt den Anstoß. Meine noch webfeuchten* Werke, die komplett aus Kassettenband gefertigt sind, fordern geradezu auf.

*frisch vom Webgerät

Nicht nur die Optik der ausgestellten Tücher, auch der ganz eigene Griff und wunderbare Fall lassen die Frage von Ausstellungsbesucher*innen nachvollziehbar machen: Kann man das auch anziehen?

Kleidung aus Kassettenbändern ?

Eigentlich nicht mein Ding.

  • Weil die Nähe zum Leib meiner Ansicht nach den Abstand missen lässt für angemessene Wertschätzung,
  • weil ich immer die Distanz schätze, die künstlerischen Arbeiten im Raum zufällt,
  • und weil ich mich nicht berufen fühle, in der Modewelt mitzumischen.

Die Erkenntnis der Machbarkeit und die Ausstrahlung der ersten komplett aus Kassettenband gefertigten Objekte sind dennoch bestechend.

Zudem kommt eine Ausschreibung dazwischen.

Performance bei „Kultur im Schaufenster“

Ich bewerbe mich für die Aktion Kultur im Schaufenster in Nürtingen mit meinen Arbeiten aus Kassettenbändern.

Die zugehörige Performance bestreite ich mit einer öffentlichen Web-Demonstration: Ich zeige, wie ich mein Webgerät mit Kassettenband bestücke.

Was soll daraus werden?

Um nicht einfach ein weiteres Stück Tuch zu produzieren, nehme ich mir zum Ziel, dieses eine erste Stück Kleidung herzustellen. Ideen zum Schnitt kommen von meiner Kollegin Ulrike Rinnert aus der Gedok Stuttgart, einer geübten Schneiderin.

Ich entscheide mich für den Kimono-Schnitt. Die Planung also steht. Ich freunde mich mit dem Gedanken an, eine größere zusammenhängende Fläche herzustellen und auch die Schere ansetzen zu müssen.

It’s a challenge

Der Anfang, auf der Straße, vor dem Schaufenster und in Gegenwart von Publikum ist eine Herausforderung. Nicht nur, weil Weber*innen üblicherweise im stillen Kämmerlein arbeiten.

Das ist der Konzentration geschuldet. Jedes kleine Fehlerchen in der Vorbereitung lässt nachher in der Umsetzung die Arbeit stocken.

Mut zum Ausprobieren

Ein ganz grundlegendes Problem ist aber das Material an sich. Kassettenband: Weitgehend unelastisch, witterungsanfällig, im Gebrauch als Kettmaterial noch nicht endgültig von mir ausgetestet.

Ich bin mutig und entscheide, dass auch ein Misslingen der Demonstration für die Performance ein Gewinn sein wird.

Aus Fehlern lernen

Tatsächlich ist beim zweiten Durchgang der Performance mein Konzentrations-Level nicht hoch genug. Eine Schraube am Webrahmen vergesse ich im richtigen Moment fest anzuziehen. Wutsch. Nix war’s mit dem Bäumen des zweiten Geräts.

Lerneffekt: vor jedem Schritt die Kontrolle des vorherigen nicht vergessen.

Fortsetzung im eigenen Atelier

Nach der Performance komme ich wenigstens mit einem gebäumten* Webgerät nach Hause in meine Werkstatt.

*bäumen: Fachwort für das Aufbringen aufs Webgerät

Dort nimmt das Experiment seinen Lauf. Die notwendige Fläche will gewebt sein. Das mache ich mit Vergnügen. Sämtliche, leider doch mit eingeschlichenen Ungleichheiten in der Spannung nehme ich, leise seufzend, in Kauf.

Der Prototyp nimmt Form an

Nach knapp zwei Wochen sind die Stücke fertig, die es zusammenzusetzen gilt. Meine Schneiderin-Kollegin macht mir auch da Vorschläge.

Ich wage es nicht ein Bügeleisen ins Spiel zu bringen und wende meine bisherige Methode an: Klebeband.

Vom Glück des Gelingens

Im Hinterkopf sehe ich meine Enkeltochter aus Stoffresten eine kleine Tasche zusammentackern. Auch das geht gut. Warum also nicht weiter mit meinen etwas unkonventionellen Mitteln des Zusammenfügens?

Am Ende gelingt die Übung. Nicht ganz perfekt von der Ausführung. Es gibt Verbesserungspotential. Aber: Der Kimono ist ausgesprochen tragbar*.

*Eventuell zu sehen bei der Ausstellungseröffnung „WIR!“ in Schwäbisch Gmünd am Donnerstag, 16.7.2020.

Vor allen Dingen hat das Kimono-Stück doch tatsächlich diesen unglaublichen Fall: von den Schultern ab in einer köperschmeichelnden, wohlig umhüllenden Weite.

Geht. Kleidung. Ein Kimono. Ganz und gar aus Kassettenband.*

*Preis auf Anfrage

Feinschliff

Schön ist die Gelegenheit, das brandneue Stück gleich vom Profi fotografiert zu sehen. Ein Wow-Effekt, der meinerseits nicht zu unterschätzen ist. Das eigene Werk mit anderen Augen betrachtet und perfekt ausgeleuchtet zu sehen ist erhellend!

Fotosession mit Profi-Fotograf K.Ditté

Eine andere Kollegin, die Filzexpertin Tatjana Seehoff, faßt beim Präsentieren auch noch mit an. Kimono-Schnitt, das kennt sie und liefert neben dem kundigen Blick ihre Schneiderpuppe gleich mit.

Kassettenbandkimono auf Schneiderpuppe, TKKern 2020

Herzlichen Dank an die Kollegin Tatjana Seehoff mit dem Händchen für Filz am Leib, sowie die geschätzte Keramik-Frau Bettina Kohlen, die ihr Atelier zur Verfügung gestellt hat.

Ist das Kunst?

Und was ist das jetzt? Ein Stück tragbarer Kunst? Musikkonserve am eigenen Leib? Upcycling in modischer Ausführung? Eine Umbewertung von nicht mehr benötigtem technischen Fortschritt?

Liebe*r Leser*in: Du darfst entscheiden. Gefallen oder nicht gefallen? Ich freue mich über Kommentare. Oder einen Besuch in meiner Werkstatt. Voranmeldung macht Sinn.


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